Es ist Morgens 8.15 Uhr, ich sitze auf einer Bank an der Bodanath Stuppa und beobachte die ersten Buddhisten die so früh am Morgen ihre Runden drehen. Ich genieße das Alleinsein, das Alleinsein ohne andere Ausländer. Keine Klickgeräusche ( ich gebe es zu ich knipse auch oft dort), keine buddhistische Musik aus den zahlreichen kleinen Läden die rings um die Stuppa sind. Boudha wirkt noch verschlafen.
Was mache ich hier? Wo ist Shriman?
Shriman ist zu einem Picknick aufgebrochen, noch früher als ich. Die Agentur mit der er meist zusammen arbeitet veranstaltet für ihre Mitarbeiter ein Saisonabschluss Picknick.
Und ich beginne heute eine ehrenamtliche Aufgabe.
Nebenbei gesagt an einem der wunderschönsten Plätze Kathmandus, für die aber die Menschen mit denen ich in ein paar Stunden zu tun habe sicher keinen Blick haben. Für sie geht es ums überleben.
Es ist kalt geworden in Kathmandu, trotz permanenten Sonnenschein kommt der Winter in ganz großen Schritten.
Die Monate Januar und Februar werden die Kältesten sein und sicher wird es wieder einige Obdachlose geben die den Winter nicht überstehen.
Eine Hilfsorganisation versorgt während des Winters einige Obdachlose, Straßenkinder und auch sehr arme Menschen mit Essen.
Täglich können sie sich am Morgen und am Mittag ein warmes Essen holen. Was wir zubereiten und verteilen werden.
Wer wir sind.
Die Chefin ist eine Schweizerin, ich schätze sie mal um die 65 Jahre. Sie macht das seit 17 Jahren. Resolut, aber mit Herz versucht sie uns begreiflich zu machen was wir zu erwarten haben.
Noch 2 andere ältere Schweizerinnen sind dabei. Eine scheint etwas schrullig, würden wir sagen. Aber nach einem Geplänkel mit ihr, stelle ich durchaus fest, dass diese Frau sehr taff ist. Sie ist 70, hat schon fast die ganze Welt bereist und weiß so einiges zu erzählen. Die Frau segelt doch tatsächlich mit ihrem eigenen Segelflugzeug durch halb Europa.
Die dritte Schweizerin im Bunde ist auch schon betagter, hat aber die gleiche Power wie die anderen. Sie lebte schon einmal für 6 Jahre im Jemen, spricht arabisch und hasst es auf harten Matratzen zu schlafen, wie sie mir gleich nach 5 Minuten berichtete.
Die Schweizer sind schon ein lustiges Volk.
Ferner gibt es da noch ein Kanadisches Pärchen. Die Frau ist von Geburt an Südafrikanerin und floh vor über 25 Jahren auf Grund der dort herrschenden Apartheid nach Kanada. Sie ist Weiße wohl bemerkt, sie hätte nicht fliehen müssen. Ihr ging es sehr gut, wie sie mir selbst sagte. Nur konnte sie nicht mehr mit ansehen wie die Schwarzen dort behandelt wurden.
Dann sind da noch zwei junge Männer, einer aus Österreich und einer aus England.
Naja und ich auch.
Gleich am Morgen saßen wir also in der Runde und schnipselten Kartoffeln und Kraut in rauen Mengen.
Es gibt ein Dahl Bhaat zum Mittag. Reis, Linsensuppe und Gemüse. Am Morgen gibt es Roti Brot und Tee. Das alles wird finanziert aus Spenden und jedes Jahr kommen viele Volontäre die mit anpacken.
Zwei nepalesische Köche rühren dann in riesengroßen Bottichen zusammen was wir vorbereiten.
Anfangs werden nicht so viele kommen, meinte M., die Chefin.
Es wird sich aber schnell herumsprechen, so dass wir in ein paar Tagen über 300 hungrige Mäuler erwarten werden.
H. , die eine Schweizerin ist Krankenschwester und soll eine Art Erstversorgung geben. Schlimmere Fälle werden ins nicht weit entfernte Hospital gebracht.
Es gibt strenge Regeln. Da kann nicht einfach jemand kommen und sich was nehmen und wieder gehen. Ich sagte ja schon die M. Ist sehr resolut. Was sie aber durchaus sein muss. Gegessen darf nur dort werden. Jeder kann haben so viel er möchte. Doch keiner darf in Plastiktüten etwas mitnehmen. Zu viel Plastik liegt schon herum in der Gegend.
So erzählte sie uns Neulingen was uns in etwa erwartet und was unsere Aufgabe ist.
Zuerst gehen wir mit Wasser durch die Reihen. Nepalesen essen mit der Hand. Die Hände der jenigen die kommen werden sind schmutzig, sehr schmutzig.
Danach gibt es die Teller mit dem Essen. Wenn sie fertig sind gehen sie, bringen aber zuvor ihre Teller zum waschen und können noch Wasser trinken.
Ich gehe mit einem Topf durch die Reihen und tröpfle jedem Wasser über die Hände. Einige trinken das Wasser aus ihren Händen.
Einige schauen mich neugierig an, einige wenden ihre Blicke ab.
Am neugierigsten sind natürlich die Kinder, dann kommen die Frauen. Die Männer hingegen reden sehr wenig.
Es ist allgemein sehr ruhig.
Ich freue mich das ich einige Worte nepalesisch mit den Menschen wechseln kann und merke das ich dadurch einen ganz anderen Zugang zu ihnen bekomme.
Eine Mann reicht mir seine Hände. Er hat Lepra und kaum noch einen Finger an der Hand., so dass er sich nicht selber waschen kann.
Was ich dabei empfinde? Noch nie sah ich solche Hände. Ich kämpfte mit mir. Es rotierte in meinem Kopf….du musst ihm helfen.
Ich bin ehrlich, ich empfand Egel und es kostete mich einiges an Überwindung.
Die Augen des Mannes als ich ihm half, niemals werde ich diesen Blick vergessen.
Ist das ein normales Gefühl? Oder bin ich zimperlich? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur er vertraut mir und er hat Hunger.
Die Kinder, meist Jungs, aber auch Mädels die auf´der Straße leben, sie scheinen fast fröhlich. Sie witzeln, sie reden über mich. Ich muss grinsen, da ich so einiges was sie sagen verstehe. Und es macht mir natürlich Freude ihnen auf nepalesisch zu antworten.
Es kommen auch Frauen mit ihren Kindern, die meist von ihren Männern verlassen wurden oder deren Männer dem Alkohol verfallen sind
Sie versuchen sich und ihre Kinder alleine durchs Leben zu bringen.
Eine Frau ist hochschwanger, sie kann kaum noch laufen. Ich frage mich, wo wird sie ihr Kind bekommen. Auf der Straße? Was hat das Kind für eine Zukunft?
Ich habe so viele Fragen und wenig Antworten. Ich muss das alles selbst erst einmal verarbeiten.
Warum gehen die Kinder nicht in eine der zahlreich vorhandenen Hilfsorganisationen?
Sie könnten dort leben, zur Schule gehen und hätten vielleicht den Hauch einer Zukunft.
M.sagt, sie wollen nicht, sie sind raus. Das Leben auf der Strasse bedeutet für sie Freiheit.
Sie haben aufgegeben, sich selber aufgegeben. Dabei sind sie so kleine intelligente Kinder.
Ein Mann deutet auf seine Schuhe, er braucht neue Schuhe. An seinen gibt es so gut wie keine Sohle mehr. Schuhe und Kleidung gibt es ab Januar, wenn es noch kälter wird. Er gibt sich mit der Antwort zufrieden und geht.
Ein Junge sitzt etwas abseits, vielleicht 10 Jahre ist er erst alt. Er trägt die Volkskleidung der Sherpas und er ist behindert. Er läuft an Krücken.
Er sticht etwas hervor von den anderen, seine Kleidung ist sauber und sein Auftreten voller Stolz.
Ich setze mich zu ihm und versuche zu reden. Er heisst Pempa Sherpa und kommt aus dem Khumbu.
Von seinen Eltern wisse er nicht wo sie sind und er lebt jetzt in Kathmandu. Wie und wo bekomme ich nicht heraus aus ihm. Er spricht ein gutes englisch, zu mindestens weit aus mehr als die anderen Kinder. Er muss irgendwann eine gute Bildung bekommen haben. Was war passiert in seinem Leben?
Er bedankt sich für das Essen, was ihm ausgezeichnet geschmeckt hat und geht dann mit stolz erhobenen Haupt wieder.
Fast muss ich schmunzeln über ihn. Er scheint wie ein kleiner perfekter Gentlemen. Was hat ihn hier her gebracht?
Der Tag geht schnell vorbei. Wir machen alles wieder sauber und schon haben wir Feierabend.
Ich gehe noch eine Runde um die Stuppa, dabei sehe ich viele in den Ecken sitzen, die zuvor bei uns waren.
Jetzt denke ich, haben sie Gesichter und auch teilweise Namen für mich.
Sie rufen mir hinterher die Kinder hüpfen fröhlich um mich herum und fragen kommst du morgen wieder.
Aber natürlich.
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